Der Weihnachtself

Tag 3

Christoph Jung wurde von dem Geräusch der Dusche geweckt. Er gähnte herzhaft und sah verschlafen auf die Uhr. Kurz vor acht. Der Wecker hätte sowieso jeden Moment geklingelt. Jung stellte ihn aus und streckte sich ausgiebig. Als erstes schüttete der Pastor Kaffee auf. Das Badezimmer war ja besetzt, aber als Jung den Frühstückstisch gedeckt hatte, kam Agilof gerade in die Küche. Er trug wieder seine eigene Kleidung.
„Guten Morgen. Ich hoffe, ich habe Euch nicht geweckt?“, grüßte der Elf seinen Gastgeber.
„Ach, ich hätte doch jetzt sowieso aufstehen müssen. Sag, sind dir deine Sachen nicht zu kalt, wenn wir gleich wieder unterwegs sind?“, entgegnete dieser.
„Ich werde doch heute wieder aufbrechen. Dazu kann ich ja nicht Eure Kleidung tragen. Aber wenn Ihr es gestattet, werde ich die letzten Stunden, bevor ich zu dem Ort zurückkehre, an dem ich diese Welt betreten habe, gerne mit Euch verbringen und auch Eure Jacke wieder tragen, wenn wir hinausgehen.“
„Du glaubst also immer noch, dass du durch irgendein mysteriöses Tor in diese Welt gelangt bist, und dass sich dieses heute wieder für dich öffnet?“
„Natürlich, denn so ist es geschehen und ich vertraue auf die Ältesten.“
„Gut, wo musst du denn hin und wann musst du da sein? Ich werde dich mit dem Auto hinfahren und wenn nichts passiert, hörst du ein für alle Mal mit diesem Anderswelt-Quatsch auf, einverstanden?“, meinte Jung genervt.
„Es betrübt mich, dass Ihr meinen Worten noch immer keinen Glauben schenkt, aber ich bin einverstanden. So werdet Ihr letztlich die Wahrheit erkennen.“

Der Elf ging an dem Priester vorbei und ließ sich am Frühstückstisch nieder. Jung seufzte und setzte sich seinem Gast gegenüber.
Während des Frühstücks ließ der Priester sich erklären, wo der Elf angeblich in diese Welt gekommen war. Dabei musste er schockiert feststellen, dass es wohl Agilof gewesen war, der in den Fernmeldeturm eingebrochen war. Er sagte dazu aber nichts weiter und überlegte, welchen Ort der Elf meinen konnte. Schließlich fiel dem Elf wieder ein, dass er bei seiner Ankunft ein Schild gesehen hatte, dass auf alte Tempelanlagen hingewiesen hatte.
„Super, da hab ich ja jetzt was versprochen. Aber ich steh zu meinem Wort. Ich werde dich also heute um Mitternacht zu den Resten des Mercuriustempels im Stadtwald begleiten. Aber vorher wirst du mich wieder zu drei Messen begleiten müssen.“
„Ich folge Euch mit Freuden. Ich habe Euch viel zu verdanken.“

Nachdem auch der Priester schließlich geduscht hatte, machten sich die beiden Männer auf zur ersten Messe am Morgen dieses ersten Weihnachtstages. Die zweite Messe folgte auf dem Fuße und so war es schließlich schon Mittag, als die beiden Männer durch die verschneiten Straßen wanderten. Bis zur letzten Messe, die Jung heute halten musste, war es noch ein paar Stunden hin. Der Priester hatte Agilof den Vorschlag gemacht, ihm ein wenig die Stadt zu zeigen und der Elf war nur zu gerne darauf eingegangen. Das Auto hatten sie bei der Kirche stehen lassen. Da an diesem Feiertag die Geschäfte geschlossen und die Menschen daheim bei ihren Familien waren, waren die Straßen wie leergefegt.

Einzig am Hauptbahnhof waren vereinzelt einige Menschen unterwegs.
Dem Priester fiel bereits aus der Ferne eine Gruppe von vier jungen Männern auf, die, scheinbar leicht alkoholisiert, beisammen standen. Als eine junge Frau mit Kopftuch den Bahnhof verließ, deuteten die Männer zu ihr hin und setzten sich plötzlich in Bewegung. Jung blieb stehen, hielt Agilof am Arm und beobachtete die Szenerie aus einiger Entfernung. Die vier Männer umringten die Frau. Einer von ihnen zerrte grob an ihrem Kopftuch. Ein Pärchen kam aus dem Bahnhof, sah kurz zu der Gruppe und wandte dann eilig den Blick ab. Zügig eilten sie davon. Jung fluchte äußerst unpriesterlich und begann zu laufen. Ehe Agilof verstand, was überhaupt los war, war der Priester schon bei der Gruppe angekommen.

„Könnt ihr scheiß Kanaken uns nicht mal an Weihnachten in Ruhe lassen?“, schimpfte einer der Männer.
Er wurde von Christoph Jung mit einer Hand fest an der Schulter gepackt.
„Die Einzigen, die hier die Ruhe stören, seid ihr!“, stieß er hervor.
„Was willst du denn jetzt? Kümmere dich um deinen eigenen Kram!“, schnauzte der Mann und drehte sich zu dem Priester herum. Er versetzte ihm einen unsanften Stoß. Agilof begann zu laufen.
Jung stolperte rückwärts, was für Erheiterung bei den vier Männern sorgte. Der Priester aber fing sich, straffte die Schultern und machte wieder einen Schritt nach vorne.
„Wenn ihr auf offener Straße meine Mitmenschen anpöbelt, dann ist das mein Kram“, erklärte er ruhig.
„Ich rede mit diesem Ausländerpack immer noch so wie ich es will, klar?“
„Vor Menschen wie euch, habe ich wirklich keinerlei Respekt. Ihr behandelt andere wie den letzten Dreck, dabei seid ihr selber das was unsere Gesellschaft runterzieht!“, fauchte Jung wütend, da er sich nicht mehr zurück halten konnte. Diese Fremdenfeindlichkeit und der Hass gegen andere Menschen, waren ihm einfach zuwider.
„Hast du mich grade als Dreck bezeichnet?“, bellte der Mann vor ihm und seine drei Freunde bauten sich drohend hinter ihm auf. Die Frau war vergessen. Sie nutzte die Gelegenheit und machte sich aus dem Staub.

Gerade als der Mann die Faust ballte, kam Agilof schlitternd zwischen ihm und dem Priester zum Stehen.
„Wagt es nicht Eure Hand gegen diesen Mann zu erheben!“, fuhr er den Anführer der Gruppe an und schenkte ihm einen eiskalten Blick.
Dieser grinste aber nur und meinte über den Elf hinweg zu Jung: „Süß. Hat dein Lover schon Karneval oder was soll dieser Aufzug?“
Noch bevor der Priester in irgendeiner Art und Weise reagieren konnte, schnellte Agilof zu Boden, trat dem Mann die Beine weg und setzte ihm einen Fuß auf die Brust.
„Möge deine Schlechtigkeit dich niederwerfen und deine Männlichkeit verwelken, wie ein verdorrter Ast, auf dass du niemals das Böse in dieser Welt weitersähen kannst!“
Ungläubig starrte der Kerl am Boden zu dem Elf hinauf. Seine Freunde hatten sich schnell wieder gefangen und die Verwirrung abgeschüttelt. Zwei von ihnen wollten Agilof packen, aber dieser wich elegant aus und verpasste dem einen von ihnen einen derben Schlag in die Rippen. Keuchend sank der Mann auf die Knie. Der Anführer hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und wollte auf den Elf zugehen, aber dieser warf ihm über die Schulter einen lodernden Blick zu.
„Ihr unwürdiges Gewürm werdet euch umgehend bei dem Priester entschuldigen oder ihr werdet den Tag verfluchen, an dem ihr geboren wurdet!“, grollte der Elf.
Christoph Jung hatte bisher nur mit offenem Mund da gestanden und die Szene ungläubig verfolgt. Jetzt aber riss er sich zusammen und mischte sich ein: „Agilof, lass gut sein…“
Der Anführer der kleinen Gruppe aber zog herzhaft die Nase rauf und spukte dem Priester vor die Füße. Kalte Wut flackerte in den Augen des Elfen auf. An der Seite waren ein paar Schaulustige stehen geblieben.
„Agilof, komm jetzt bitte. Du bringst uns nur in Schwierigkeiten!“, bat Jung eindringlich und musterte flüchtig die Reihe der Schaulustigen. Zumindest waren keine bekannten Gesichter dabei.
Der Elf schenkte den vier jungen Männern noch einen Blick voller Verachtung, drehte ihnen den Rücken zu und bedeutete dem Priester zu gehen.

Die kleine Menge an Menschen begann sich schnell wieder zu zerstreuen, aber die vier Männer wollten das nicht auf sich sitzen lassen. Agilof hörte wie einer der vier laut Fluchte und davon rannte. Er hörte außerdem, wie jemand hinter ihm ausholte. In einer einzigen fließenden Bewegung wirbelte er herum, griff den Arm seines Angreifers und verdrehte ihn. So zwang er den Mann zum einen in die Knie und zum anderen ließ er das Messer fallen, das er gezogen hatte. Auch die anderen beiden Männer schienen es nun mit der Angst zu tun zu bekommen, ließen ihren Anführer im Stich und nahmen die Beine in die Hand. Bedächtig hob der Elf das Messer auf und musterte es.
„Schlechter Stahl für einen schlechten Menschen, das passt.“
Achtlos warf der das Messer zur Seite. Jung hob es auf, damit es keinen weiteren Schaden anrichten konnte. Agilof sah sich kurz um. Ein paar der Schaulustigen waren erneut stehen geblieben.
„Was seid ihr nur für rückgratlose Feiglinge? Einer der euren bedarf eurer Hilfe und ihr steht nur da und schaut zu.“, warf er ihnen entgegen, was dazu führte, dass sich auch die letzten Interessierten peinlich berührt schleunigst von dannen machten.
„Und du…“, fuhr er dann, an den am Boden knienden Mann gewandt, fort, „Du solltest sehen, dass du mir aus den Augen kommst, bevor ich meine guten Manieren vergesse. Zuerst bedrohst du eine wehrlose Frau, dann erhebst du die Faust gegen einen guten und gerechten Mann und zu allem Überfluss ziehst du die Waffe hinter dem Rücken deines Gegners. Da wo ich herkomme, würdest du auf alle Zeit geächtet werden und ein Leben als Vogelfreier führen.“
Größter Unglaube und Verwirrung sprachen aus dem Blick des Mannes, aber er nickte hastig, erhob sich und lief eilig davon. Agilof sah ihm nach, dann drehte er sich zu dem Priester um, lächelte ihn an und meinte: „Ihr wolltet mir die Stadt zeigen?!“
Jung starrte ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Schließlich fing er sich wieder, schluckte und erwiderte dann: „Herr im Himmel. Du glaubst gar nicht wie froh ich bin, dass ich dir das Schwert abgenommen habe! Sei froh, dass alles so glimpflich abgelaufen ist und niemand die Polizei gerufen hat. Die vier hätten das zwar verdient, aber was hätten wir denen bitte sagen sollen?!“
Der Elf zuckte nur mit den Schultern, nicht zuletzt, weil er nicht wusste was die Polizei war, und Jung seufzte. „Lass uns zu mir fahren. Da können wir uns noch etwas unterhalten“, brummte der Priester schließlich.

In den Stunden bis zur nächsten Messe unterhielten sich die beiden Männer dann auch. Erneut sprachen sie über Agilofs Herkunft und die Welt der Menschen. Zwischendurch bereitete Jung Etwas zu essen. Aber auch während des Mittagessens, verstummten ihre Gespräche nicht. Der Priester befragte den Elf auch über dessen Verhalten der Gruppe Männer gegenüber und fragte ihn, was passiert wäre, wenn er sein Schwert gehabt hätte. Der Elf aber schwor ihm, dass er keinen der Männer ernsthaft hatte verletzten wollen und Jung glaubte ihm. Hätte er den Mann verletzen wollen, hätte er das Messer nicht zur Seite geworfen.

Auch nach der Messe am Nachmittag kehrten die beiden in die Wohnung des Priesters zurück. Während Jung sich in sein Arbeitszimmer zurückzog, um mit seiner Familie zu telefonieren, schrieb Agilof wieder einmal in sein ledernes Buch.

Dritter Tag
Noch diese Nacht werde ich diese Welt wieder verlassen. Ich glaube, der Priester wird mir fehlen. Er hat mir einiges über diese Welt und die Menschen beigebracht. Ich werde den Ältesten einiges zu berichten haben…

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5 Comments

  1. Kommentare von Ingrid, die Bastelmaus:

    Neugierig, wie ich nun mal bin, habe ich angefangen, Deine Geschichte zu lesen. Sehr interessant, ehrlich!
    Da ich aber wegen meiner Augen nicht so lange (ist natürlich relativ…) lesen kann meine Frage:
    Ist ausdrucken möglich? Und wenn ja, wie mach ich das? Wenn das aber nicht geht, dann lese ich halt in Raten, will doch unbedingt wissen, wie es weiter geht und endet!
    LG Ingrid

    • Kommentare von therealdarkfairy:

      Du kannst auf PDF klicken (ganz oben auf seite 1) und dann öffnet sich entweder eine neue Registerkarte (jenachdem welchen browser du nutzt) oder du kannst das speichern. Wenn das PDF offen ist, kannst du die Geschcihte ausdrucken. Oben rechts ist ein Drucker Symbol.

      Freut mich, wenn sie dich schon neugierig gemacht hat 😀

  2. Kommentare von Eileen:

    Das ist wirklich eine sehr schöne Geschichte 🙂 Danke 🙂

  3. Ping von Erinnerungen und Lasten | DF.PP Entertainment:

    […] ihn schon kennt hat nämlich dann mein Weihnachts-ebook (etwas längere Kurzgeschichte 😉 ) “Der Weihnachtself” gelesen. Die heutige Geschichte spielt nämlich ca. 1,5 Jahre nach den Ereignissen besagter […]

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